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Erdgas aus der Nordsee vor Borkum: Das musst du wissen

Erdgas aus der Nordsee vor Borkum: Das musst du wissen

upday.de |

Über die geplante Erdgasförderung aus einem deutsch-niederländischen Feld in der Nordsee vor der Insel Borkum wird seit Jahren gestritten. Die Energiewirtschaft sieht dadurch die Versorgungssicherheit gestärkt, Aktivisten und Anwohner fürchten dagegen Umweltschäden für das Wattenmeer und angrenzende Inseln sowie einen Glaubwürdigkeitsverlust beim Klimaschutz. Jetzt hat das zuständige niedersächsische Landesamt für 18 Jahre die Bohrungen genehmigt, die unter dem Meeresboden in deutsches Gebiet reichen.

Ein Überblick, wie es um das Vorhaben steht:

Wo soll in der Nordsee Erdgas gefördert werden?

Das niederländische Öl- und Gasunternehmen One-Dyas will das Erdgas zusammen mit Partnerfirmen fördern – und zwar aus bis zu knapp vier Kilometern Tiefe aus dem Feld N05-A, das die Niederländer 2017 entdeckt haben, sowie potenziell auch aus umliegenden Gasfeldern. Das Feld N05-A liegt rund 20 Kilometer nördlich der Inseln Borkum und Schiermonnikoog auf der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden, in der Nähe des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer.

Das Gasfeld soll ein förderbares Gesamtvolumen von bis zu 13 Milliarden Kubikmeter Erdgas haben. Das Feld N05-A gehört zum sogenannten GEMS-Gebiet. One-Dyas schätzt, dass dort insgesamt rund 50 Milliarden Kubikmeter förderbares Erdgas liegen.

Nach früheren Unternehmensangaben sollen jährlich bis zu zwei Milliarden Kubikmeter Gas über die geplante Plattform gefördert werden können. Da die Förderung laut One-Dyas nur für den Inlandsbedarf bestimmt sein soll, soll das Volumen mit einem erwarteten Nachfragerückgang in den kommenden Jahren abnehmen. One-Dyas plant mit einer Erdgasförderung über einen Zeitraum von 10 bis 35 Jahren.

Wie soll das Erdgas aus der Nordsee gefördert werden?

Mit einer Förderplattform, die rund 500 Meter von deutschen Hoheitsgewässern entfernt errichtet werden soll. Von der rund 40 Meter hohen Plattform aus sollen die Bohrungen schräg in das Gasfeld laufen. Um das Gas an Land zu transportieren, soll eine Leitung verlegt werden, die an eine bestehende Pipeline in der Nordsee angeschlossen wird. Strom soll die Plattform von dem benachbarten deutschen Offshore-Windpark Riffgat bekommen.

Welchen Anteil am deutschen Bedarf kann das Erdgas aus der Nordsee decken?

Einen verhältnismäßig geringen. Nach Angaben der Bundesnetzagentur wurden im vergangenen Jahr in Deutschland rund 81 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht. Das waren etwa fünf Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahr. Mit zwei Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich hätte die Plattform also eine eher überschaubare Bedeutung.

In Relation zur bisherigen deutschen Gasförderung wäre der Standort allerdings bedeutsam. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie bundesweit rund 4,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert – der Großteil davon in Niedersachsen (98 Prozent). Mit dem hierzulande geförderten Erdgas wurden den Angaben zufolge zuletzt rund 5,7 Prozent des deutschen Erdgasbedarfes gedeckt.

Wie ist der Zeitplan für das Projekt vor Borkum?

One-Dyas will noch Ende 2024 das erste Erdgas fördern. Die Installation der Förderplattform sollte bereits Anfang August beginnen. Vorübergehend sollte auch eine mobile Bohrplattform eingesetzt werden. Außerdem sollen im Herbst zur Anbindung der Förderplattform eine etwa 15 Kilometer lange neue Gaspipeline sowie ein rund acht Kilometer langes Stromkabel unter Wasser verlegt werden.

Kann sich das Projekt noch verzögern?

Das ist denkbar. Es ist davon auszugehen, dass wie schon in den Niederlanden auch gegen den deutschen Planfeststellungsbeschluss geklagt wird. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte im vergangenen Jahr mitgeteilt, vor Gericht ziehen zu wollen, sollte das Vorhaben von den niedersächsischen Behörden genehmigt werden. Darüber hinaus bedarf es eines völkerrechtlichen Abkommens zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Warum ist ein völkerrechtliches Abkommen notwendig?

Da One-Dyas Erdgas sowohl auf niederländischem als auch auf deutschem Hoheitsgebiet fördern will, muss es neben den bergrechtlichen Genehmigungen auch ein völkerrechtliches Abkommen zwischen Deutschland und den Niederlanden geben – ein sogenanntes Unitarisierungsabkommen. Seit dem Sommer 2022 verhandelt die Bundesregierung darüber. «Wesentlicher Inhalt des Abkommens sind Regelungen zur Aufteilung der Lagerstätte, zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Behörden sowie der Feldes- und Förderabgaben», teilte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums mit.

Diese Gespräche laufen nach Angaben des Ministeriums von Robert Habeck (Grüne) weiterhin. Zu einem möglichen Zieldatum machte ein Sprecher keine Angaben. Aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium von Olaf Lies (SPD) hieß es, die Erdgasförderung vor Borkum könne letztlich nur umgesetzt werden, wenn sich die Bundesregierung mit dem niederländischen Staat auf das Abkommen verständige. «Hier liegt also die letzte Entscheidung», sagte ein Ministeriumssprecher in Hannover.

Wie verhält sich die Politik zu dem Energieprojekt?

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte 2022 gesagt: «Am besten wäre es, das Gasförderprojekt zu stoppen.» Die Ampel-Parteien der Bundesregierung haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart: «Wir wollen keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen jenseits der erteilten Rahmenbetriebserlaubnisse für die deutsche Nord- und Ostsee erteilen.»

In der niedersächsischen Landespolitik gab es zu dem Projekt ein Hin und Her. Ursprünglich hatte sich die frühere Landesregierung aus SPD und CDU klar gegen eine Erdgasförderung vor Borkum ausgesprochen. Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte diese Koalition ihre Haltung aber revidiert. Im Koalitionsvertrag der jetzigen rot-grünen Landesregierung steht, dass im Planfeststellungsverfahren für die Förderung vor Borkum der «Schutz von Umwelt, Natur, dem Wattenmeer und der Insel» von zentraler Bedeutung sein werde.

Der Umwelt- und Energieminister des Landes, Christian Meyer (Grüne), hatte im Frühjahr erklärt, eine Notwendigkeit der Förderung von Erdgas vor der niedersächsischen Küste liege aus Sicht seines Ministeriums und vor dem Hintergrund der niedersächsischen Klimaziele «grundsätzlich nicht mehr vor». Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hielt sich dagegen zurück mit einer persönlichen Meinung zu der Gasförderung. Er verwies im vergangenen Jahr etwa auf das gesetzliche Verfahren, das die geplante Förderung durchlaufe.

Was sagt das Landesamt zu den Klimaschutzbedenken?

Der Präsident der Behörde, Carsten Mühlenmeier, betonte, die Genehmigung sehe ein vorzeitiges Ende der Gasförderung vor, sobald durch die Wärmewende in Deutschland kein Erdgas mehr als Energieträger benötigt werde. «Solange aber in Deutschland noch Erdgas verbraucht wird, gilt: Das aus heimischen Lagerstätten geförderte Erdgas ist erheblich weniger klimaschädlich als das importierte», sagte Mühlenmeier.

Was sagt Habeck zur Genehmigung durch das Landesamt?

Wirtschaftsminister Habeck reagierte zurückhaltend auf die Genehmigung des niedersächsischen Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie und sagte, er wolle mögliche Gerichtsentscheidungen abwarten. «Das ist heute keine gerichtsfeste Entscheidung, sie wird sicherlich beklagt werden», sagte der Grünen-Politiker in Berlin. Erst wenn die relevanten Urteile gefallen seien, werde entschieden, ob das Abkommen zwischen Deutschland und den Niederlanden unterzeichnet werde. 

Es gehe um ein vergleichsweise kleines Gasfeld, sagte Habeck. «Es ist weniger als der Jahresbedarf des deutschen Gasverbrauchs, und das wird sich dann ja über Jahrzehnte strecken.» Der Effekt auf Energiesicherheit oder Preise sei höchstens minimal. «Und es ist ein sehr, sehr sensibles ökologisches Gebiet», betonte Habeck. Der Nationalpark Wattenmeer sei «eine Perle in dem Naturschutz». Im Falle einer Gasförderung drohe das Unesco-Welterbe aberkannt zu werden. dpa/gf

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