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Ob der Genderstern als Rechtschreibfehler gilt, entscheidet nicht der Rechtschreibrat, sondern die lokale Schulpolitik

Ob der Genderstern als Rechtschreibfehler gilt, entscheidet nicht der Rechtschreibrat, sondern die lokale Schulpolitik

Quelle: CORRECTIV.Faktencheck!


Hintergrund

Ob der Genderstern als Rechtschreibfehler gilt, entscheidet nicht der Rechtschreibrat, sondern die lokale Schulpolitik

Der Genderstern werde zum Rechtschreibfehler, der Rat für deutsche Rechtschreibung habe sein Aus beschlossen. Solche Schlagzeilen wurden im Juli von deutschen Politikern, Medien und in Sozialen Netzwerken verbreitet. Doch was bedeuten die Empfehlungen des Rechtschreibrats wirklich? Wir haben in den Bundesländern nachgefragt.

von Steffen Kutzner

Gendersterne sind umstritten, aber abgeschafft oder pauschal zum Fehler erklärt, wurden sie nicht (Symbolbild: DTS-Agentur / Picture Alliance)

Im Sommer 2024 war er wieder Thema, der Genderstern. „Der Genderstern wird zum Rechtschreibfehler“, schrieb etwa CDU-Politikerin Katharina Schuwalksi Mitte Juli auf Facebook. Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich teilte Mitte Juli ein Bild, in dem es hieß: „Rechtschreibrat beschließt das Aus für den Genderstern.“

Die Beiträge waren eine Reaktion darauf, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung am 1. Juli 2024 neue Regeln veröffentlichte. Konkret heißt es im Regelwerk (Seite 153 f.), dass Gendersternchen (Bürger*innen), Binnendoppelpunkt (Bürger:innen) und Unterstrich (Bürger_innen) „nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie“ gehören. Der Rat soll eine einheitliche Rechtschreibung im deutschen Sprachraum sicherstellen und hat unter anderem Mitglieder aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg.

Auch die Partei Die Basis schrieb Ende Juli „Gender-Sternchen an Schulen verboten“, obwohl nicht alle Bundesländer den Stern als Fehler anmerken (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Wir haben beim Rechtschreibrat und den zuständigen Ministerien in Deutschland angefragt, was diese Entscheidung in der Praxis bedeutet und wie ein Genderstern an Schulen gewertet wird.

Josef Lange, Vorsitzender des Rechtschreibrats, schrieb uns, dass Wortbinnenzeichen, also auch der Genderstern, nicht zum Kernbestand der Rechtschreibung gehörten. „Der Rat weist jedoch darauf hin, dass die Entwicklung nicht abgeschlossen ist und weiter beobachtet werden muss.“ Ähnliches schrieb der Rat bereits im Dezember 2023 in einer Pressemitteilung. Darin heißt es weiter: „Vorgaben für die Bewertungspraxis liegen in der Zuständigkeit der Schulpolitik und obliegen nicht dem Rat für deutsche Rechtschreibung.“ Im Klartext: Die lokale Schulpolitik entscheidet darüber, ob ein Genderstern als Rechtschreibfehler gewertet wird.

Rechtschreibrat hat Genderstern nicht verboten

Wir haben bei den zuständigen Ministerien aller deutscher Bundesländer angefragt, ob dort bei einem Genderstern Punktabzug droht – acht von 16 Bundesländern antworteten klar auf die Frage. Fünf Bundesländer – Hamburg, Hessen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt – gaben an, dass der Stern dort als Fehler zählt. Drei der befragten Bundesländer – Brandenburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz – schrieben, das Zeichen würde zwar markiert, aber nicht als Fehler gewertet. 

Hier die Antworten einiger Pressestellen der jeweils zuständigen Ministerien im Überblick:

Brandenburg: „Falls ein Sonderzeichen von Schülerinnen und Schülern verwendet wird, wird es angestrichen, fließt aber nicht in die Bewertung der schulischen Leistung ein“, schreibt die Pressesprecherin vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg.

Hamburg: „Lehrerinnen und Lehrer müssen Genderzeichen wie Binnen-I, Sternchen oder Doppelpunkt in schriftlichen Abiturprüfungen als Fehler anstreichen. Diese Schreibweisen entsprechen nicht der standardsprachlichen Norm“. 

Hessen: „In den hessischen Schulen wird das amtliche Regelwerk des Rats für deutsche Rechtschreibung umgesetzt. Es gilt für die Schrift im gesamten Unterricht und ist auch bei der Korrektur und der Bewertung von schriftlichen Leistungsnachweisen und schriftlichen Prüfungen anzuwenden (z. B. Schreiben mit Gender-Sternchen in einer Arbeit wird als Fehler angestrichen)“.

Niedersachsen: „Wir vertreten daher die Ansicht, dass eine geschlechtergerechte Sprache in ihren Varianten weder verordnet noch in Abschlussprüfungen (Klausuren/Arbeiten etc.) als Rechtschreibfehler gewertet werden. Außerdem bearbeiten Prüflinge z. B. in Abiturklausuren längst aktuelle wissenschaftliche, literarische und journalistische Texte, die ihrerseits Neographien [Neuschreibungen, Anm. d. Red.] im Wortinnern verwenden.“ 

Rheinland-Pfalz: „Verwendet eine Schülerin oder ein Schüler den sogenannten ‚Genderstern‘, wird dies in Rheinland-Pfalz nicht als Fehler gewertet, allerdings markiert.“ 

Saarland: „In Arbeiten, die u. a. der Bewertung der Rechtschreibung dienen (schriftliche Arbeiten, Kursarbeiten), ist die Verwendung von Asterisk (‚Gender-Stern‘), Unterstrich (‚Gender-Gap‘), Doppelpunkt oder anderer verkürzter Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern (noch) als Fehler anzurechnen.“ 

Sachsen: „Nachdem die Regelungen [des Rats für deutsche Rechtschreibung] offiziell beschlossen sind, werden Verstöße gegen die amtliche Rechtschreibung nicht nur als Fehler markiert, sondern auch bei der Bewertung der Schreibleistungen berücksichtigt“, schreibt die Pressereferentin des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus.

Sachsen-Anhalt: „Wird in zu benotenden schriftlichen Werken in der Schule konsequent in einer bestimmten Form ‚durchgegendert‘, gilt dies als EIN Rechtschreibfehler mit Folgefehlern. Dieser wird gekennzeichnet. Liegen sonst keinerlei Fehler, Formverstöße oder sonstige Beanstandungen vor, muss dieser Rechtschreibfehler nicht zwangsweise zu einer schlechteren Note führen. Dies liegt im Ermessensspielraum der Lehrkraft im Sinne der Gesamtbetrachtung des schriftlichen Werks“, schreibt der Pressesprecher des Ministeriums für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt.

Laut Medienberichten wird der Genderstern auch in Bayern als Fehler gewertet. In Berlin soll das Gendern laut Medienberichten ab 2026 unzulässig werden. In Hamburg dagegen scheiterte Ende Juli 2024 eine Initiative für ein Volksbegehren gegen das Gendern. Es fehlten laut Medienberichten mehrere tausend Unterschriften. 

Wiederholtes Gendern in derselben Arbeit wird gewöhnlich als einzelner Fehler betrachtet

Die Antworten zeigen: Der Rechtschreibrat hatte im Sommer 2024 mitgeteilt, dass er den Genderstern nicht in die amtliche Rechtschreibung aufnimmt. Ob er an Schulen verwendet werden darf, bleibt jedoch Sache der lokalen Schulpolitik. Die Bewertung obliegt letztlich der Lehrkraft. Zusammenfassende Formen wie „Schüler/-innen“ sind laut Rechtschreibrat ohnehin bereits erlaubt. Das Gendern an sich wird also nicht verboten oder abgeschafft, wie es manche Nutzerinnen und Nutzer auf Facebook oder X behaupteten.

Einige für Desinformation bekannte Blogs wie Kettner Edelmetalle oder Apollo News spitzen fälschlicherweise zu, seit Juli gelte „jedes gegenderte Wort“ als Rechtschreibfehler. Das stimmt nicht: Selbst wenn das Gendern in einer schriftlichen Prüfung als Fehler bewertet wird, es aber im Text konsequent eingesetzt wurde, handelt es sich bei wiederholtem Gendern in der Regel um einen Folgefehler, der nur als ein einzelner Fehler gerechnet wird. 

Von einer generellen Abschaffung des Gendersterns kann ohnehin nicht gesprochen werden, wie uns ein Sprecher der Kultusministerkonferenz, in der die Bundesländer gemeinsam über Bildungspolitik beraten, erklärt: „Die Regelungen des Rats sind nach Zustimmung der staatlichen Stellen in den deutschsprachigen Ländern ‚nur‘ verbindlich für die Schulen und die öffentliche Verwaltung.“ Außerhalb solcher Institutionen kann also, was den Rechtschreibrat betrifft, problemlos gegendert werden. 

Redigatur: Sarah Thust, Matthias Bau

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